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AutorenbildAnnette Heinrich

37 Grad: Keine leichte Geburt. Hebammen am Limit

Aktualisiert: 20. Juni 2020


ZDF | Sendedatum: 19.05.2020, 22.15 Uhr


Buch und Regie: Annette Heinrich




Anna, Peggy und Melanie haben einen der wichtigsten Berufe der Welt: Sie sind am Wunder „Leben“ beteiligt. Doch der Einsatz für diesen Traumberuf bedeutet für die drei Hebammen, oft am Rande der Belastbarkeit zu arbeiten. Nur mit viel Idealismus und dem Verzicht auf Erholung, Geld, Work-Life-Balance und Privatleben können sie die Lücken in der Schwangerenversorgung schließen – und kämpfen dabei täglich darum, nicht selbst auf der Strecke zu bleiben.


Melanie (40) kennt Phasen, in denen sie praktisch kaum noch aus dem Kreißsaal herauskommt: „Das kann manchmal ganz schön haarig sein, ich hatte in acht Tagen fünf Geburten, danach war der Akku leer und ich hatte eben nicht die Zeit, mich zu regenerieren.“ Doch weil sie Frauen unter der Geburt nicht alleine lassen und sie lieber im 1:1-Modell betreuen möchte, nimmt die Begleit-Beleghebamme aus Bad Mergentheim diesen hohen Preis in Kauf. „Ich möchte, dass sich die Frauen sicher fühlen und ihre Kraft finden.“ Deshalb ist ihr Handy immer auf Empfang – es klingelt mitten in der Nacht, es klingelt Feiertagen und auch wenn eines ihrer drei Kinder krank ist.




Damit Melanie für ihre Frauen da sein kann, hält ihr Ehemann Andreas zu Hause die Stellung. „Es funktioniert nur, wenn alle zurückstecken, auch die Kinder.“ Doch trotz Rufbereitschaft und hohen Arbeitspensums kann Melanie lange nicht alle Schwangeren betreuen, die sie täglich anrufen. Besonders schlimm, wenn Frauen sie weinend um Unterstützung bitten und nicht selten schon eine traumatische Geburt ohne angemessene Hebammen-Begleitung erlebt haben, wie sie erzählt. „Es macht mich traurig und wütend, wenn ich sehe, dass Frauen im wichtigsten Moment ihres Lebens allein gelassen werden.“




Peggy (45) arbeitet als festangestellte Hebamme am Caritas Krankenhaus Bad Mergentheim. Auch sie leidet unter dem Mangel an Hebammen in Deutschland: „Also es gibt Tage, da tut einem das schon ganz schön weh, dass man einer Frau sagen muss, ich muss jetzt mal raus und die sagt: Nein, bitte bleib hier, geh nicht weg. Die Frauen brauchen einfach jemanden, der bei ihnen ist, der Zeit hat und dann braucht man auch andere Dinge weniger, wie Schmerzmittel oder Kaiserschnitte.“




Manchmal betreut sie parallel bis zu drei, vier Frauen, die in den Wehen liegen. Die Angst, Fehler zu machen, begleitet sie nicht selten bis in den Schlaf. Dabei würden die leitende Hebamme und das Klinikum liebend gerne mehr Geburtshelferinnen einstellen, statt Leihebammen und ausländische Fachkräfte zu engagieren. Doch in ganz Deutschland beklagen Krankenhäuser schwere Probleme bei der Stellenbesetzung von Hebammen, was mit deren extremer Arbeitsbelastung begründet wird, wie ein aktuelles Gutachten des Bundesministeriums für Gesundheit ergeben hat. Das Fallpauschalensystem ist ein maßgeblicher Grund, weswegen Geburtshilfe für Kliniken immer unrentabler wird. Die Folgen der notwendigen Sparmaßnahmen sind dramatisch und für alle spürbar.



Um in ihren achtstündigen Schichten alles für das Wohl von Müttern und ihren Kindern geben zu können, arbeitet Peggy mittlerweile nur noch in Teilzeit. „Zwar sind die Dienste stressig, aber irgendwann zu Ende und dann kann ich nach Hause gehen zu meiner Familie und mich erholen. Und das ist für die Hebammen, die immer rufbereit sind natürlich nicht so.“


Davon kann Anna (38) ein Lied singen. „Auch wenn man mir das nicht immer ansieht, dass ich zwei durchwachte Nächte hinter mir habe, habe ich mich schon einige Male am Rande der Belastbarkeit gefühlt.“ Kein Wunder bei einem Arbeitspensum, das nicht selten bei 90 Wochenstunden liegt. Anna lebt für ihren Traumberuf – und als eine der wenigen Hebammen in Deutschland macht sie noch Hausgeburten. Für sie der „schönste Weg, Kindern auf die Welt zu helfen“, weil sie den Frauen dabei geben kann, was in Kliniken nur noch selten der Fall ist: Ruhe, Selbstbestimmung und viel Zeit, damit die Geburten ohne Interventionen und so natürlich wie möglich stattfinden können.



Dafür muss die Hebamme wie all ihre freiberuflichen Kolleginnen eine extrem teure Haftpflichtversicherung abschließen und ihr Vorgehen genauestens dokumentieren. „Wir sind bis zu 30 Jahre haftbar für mögliche Fehler. Mit diesem Druck können viele nicht umgehen.“ Und tatsächlich geben immer mehr freiberufliche Hebammen die Geburtshilfe auf. Doch auch bei der Betreuung von Frauen im Wochenbett legen engagierte Hebammen wie Anna und Melanie drauf. Ein Hausbesuch dauert schnell mal eine Stunde, der Lohn dafür: rund 38 Euro. Ohne „Helfersyndrom“ und große Liebe zum Beruf würde es nicht gehen. Ihr Patchwork-Leben mit Mann und sechs Kindern leidet nicht selten darunter. „Viele Ehen zerbrechen“, weiß ihr Mann Igor. „Aber ohne Geburtshilfe, ohne diesen Zauber, könnte ich es mir nicht vorstellen“, sagt Anna.




Idealistinnen wie Anna, Melanie und Peggy fangen mit überdurchschnittlichem Einsatz die weitreichenden Folgen des Hebammen-Mangels in Deutschland auf. Von ihrem Können hängt nicht selten ab, wie angst- und schmerzfrei eine Mutter ihr Kind ins Leben setzen kann und wie ein Säugling seine ersten Lebensmomente verbringt. Doch mangelnde Unterstützung der Politik und finanzielle Zugzwänge der Klinikbetriebe gefährden bundesweit die Schwangerenversorgung. Schon seit Jahren warnen die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutsche Hebammenverband vor dieser gefährlichen Entwicklung. Neue Maßnahmen wie die Haftpflicht-Ausgleichszahlung vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen oder die Neuordnung und Akademisierung des Berufsstandes sind zwar auf den Weg gekommen. Doch gerade das Fallpauschalensystem, die schlechte Bezahlung und die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung ihrer Leistung machen es Hebammen wie unseren Protagonistinnen immer schwerer, das zu tun, was sie am besten können: Dem Wunder Leben seinen Weg zu bereiten. Die Corona-Pandemie dürfte jedem zeigen, welchen Menschen und Berufe unsere Gesellschaft wirklich tragen. Welche Schlüsse man daraus ziehen sollte, liegt auf der Hand.

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