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AutorenbildAnnette Heinrich

37 Grad: Erst 17 und schon Vater. Wenn Teenager Kinder kriegen

ZDF | Sendedatum: 10.02.2009

Buch & Regie: Annette Heinrich





„Ich war schon ziemlich geschockt, als mich meine Freundin Taotao im Urlaub vor zweieinhalb Jahren anrief und mir sagte, dass sie schwanger ist“, erinnert sich Alexander (18) aus Berlin. Auch der damals 16-jährige Simon fühlte sich ziemlich überfordert, als ihn seine Freundin Tatjana vor eineinhalb Jahren mit ihrer ungewollten Schwangerschaft konfrontierte. „Ich war schlecht in der Schule, hatte keine Ausbildung in Aussicht – natürlich hab ich mich gefragt, was ich meinem Kind in der Zukunft bieten könnte und wie alles laufen sollte.“ Dennoch war Alex und Simon klar, dass sie zu ihrem Kind und zu ihrer Freundin stehen wollten.

Die Entscheidung für das Kind ist in beiden Beziehungen schnell gefallen. Viel schwerer fiel es den Teenagern, ihren Eltern von der Schwangerschaft zu erzählen. Alex und Taotao zögerten ein offenes Gespräch fünf Monate lang hinaus, bis sie sich ihren Eltern anvertrauten. Alexanders Mutter war mehr als überrascht. Doch sie fing sich schnell und beschloss gemeinsam mit ihrem Mann: „Wir müssen den beiden helfen!“ Weniger Glück hatte Alexanders Freundin Taotao. Für ihre chinesischen Eltern war die frühe Schwangerschaft ihrer Tochter eine große Schande. Sie wollten das Mädchen sogar zu einer Abtreibung in China zwingen. Alexanders Mutter reagiert sofort: „Du bleibst erst einmal bei uns!“ Einige Zeit teilte sich das junge Paar Alexanders kleines Zimmer, bis Taotao schließlich einen Platz in der betreuten Wohneinrichtung fand. Die jungen Eltern wohnen nicht weit voneinander entfernt, können sich täglich sehen und gemeinsam ihren Realschulabschluss machen. Weitaus schwieriger war es da für Simon und Tatjana. Als die Pflegeeltern des Mädchens von der Schwangerschaft ihrer 15-jährigen Pflegetochter erfahren, geben sie die Vormundschaft an das Jugendamt zurück. Tatjana musste ihren Heimatort verlassen und kam in eine Mutter-Kind-Einrichtung in Freiburg. Auch Simon verließ seine Familie und zieht in Calw in eine Einrichtung für Menschen in sozialen Notlagen. Simon hat große Schwierigkeiten in der Schule und immer wieder Ärger mit der Polizei. Eine räumliche Trennung von seinem sozialen Umfeld scheint da das Beste für alle.




„Seit ich schwanger bin, hat sich Simon verändert, er ist so lieb zu mir“, erzählt Tatjana strahlend. Seine neue Verantwortung nimmt der 17-Jährige Simon sehr ernst. Er lernt freiwillig für die Schule und nimmt bereitwillig die Unterricht begleitende Hilfe seines Lehrers an, um seinen Hauptschulabschluss doch noch zu schaffen, weil Tatjana und sein Kind jetzt das Wichtigste in seinem Leben sind. Sogar Tatjanas Launen während der Schwangerschaft erträgt er mannhaft. „Dass er sich so freut auf das Kind, das finde ich das Beste“, schwärmt Tatjana. Auch Alex ist durch die Schwangerschaft seiner Freundin und die Geburt seines Sohnes Luca vor eineinhalb Jahren ein anderer Mensch geworden. „Seit der Kleine auf der Welt ist, hat sich Alex um 180 Grad gedreht“, schwärmt Alexanders Mutter, „er macht nicht mehr soviel Blödsinn und ist ein liebevoller Papa.“


Trotzdem gibt es für die jungen Väter Tage, an denen es ihnen schwer fällt, so viel Verantwortung zu haben und nicht so frei und ungebunden zu sein wie die gleichaltrigen Freunde. 37° erzählt von den Höhen und Tiefen der Vaterfreuden in so jungen Jahren und zeigt wie die beiden „jungen Helden“ Simon und Alexander an ihren Aufgaben wachsen und sich zu verantwortungsbewussten jungen Männer entwickeln.


Aus Sicht der Autorin


Ist das ein Thema?

Teenie-Väter – ist das überhaupt ein Thema? Ist nicht in den Filmen über minderjährige Mütter bereits alles zu dieser Problematik gesagt? Meine anfängliche Skepsis hat sich im Laufe meiner Recherchen rasch zerstreut. Die erste und vielleicht banale Erkenntnis: wie ungleich viel schwerer es ist, junge Väter zu finden. Für Mütter im Teenageralter, die kaum oder keinen familiären Rückhalt haben, gibt es viele Beratungsstellen, Foren im Internet, Mutter- und-Kind-Gruppen und betreute Wohneinrichtungen. Für minderjährige Väter hingegen sieht die Beratungs- und Betreuungssituation vergleichsweise düster aus.

Das meiste davon ist dem freiwilligen Engagement der Jugendhilfezentren und den Wohnheimen für junge Mütter überlassen. Denn laut Gesetz (§ 19 SGB VIII) kann nur ein allein erziehendes Elternteil (und in der Regel sind das die jungen Mütter) auf Kosten des Jugendamts in sozialpädagogisch betreuten Einrichtungen untergebracht werden, um dort unter Aufsicht eine Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen, berufliche Perspektiven zu entwickeln und in der Persönlichkeitsentwicklung und Eigenständigkeit gefördert zu werden. Für die gleichzeitige „Väterarbeit“ ist keine rechtliche Grundlage gegeben, eine gemeinsame Unterbringung und Betreuung junger Familien wird durch den Paragraphen ausgeschlossen.

Das beklagen die meisten Mutter-Kind-Heime, die ich bei meinen Recherchen besuchte. Fast alle fühlen sich in ihrer pädagogischen Arbeit durch den Gesetzgeber stark eingeschränkt und sehen darin auch einen Grund für das Zerbrechen junger Familien, die ein betreutes Zusammenleben nicht erproben können. Dennoch tun einige Einrichtungen viel über ihre eigentliche Arbeit hinaus, um auch für die minderjährigen Kindesväter da zu sein und sie in die Beratung zu integrieren. Durch zwei so fortschrittlich denkende Wohnprojekte, die Mutter-Kind-Einrichtung des Sozialdiensts katholischer Frauen e.V. in Freiburg und Leben Lernen e.V. in Berlin habe ich meine beiden Protagonisten gefunden.


Simon und Alexander – zwei ziemlich erwachsene Teenie-Väter

Während meiner Recherchen habe ich unzählige Schwangerschafts-Beratungsstellen, Hebammen, Jugendämter und Mutter-Kind-Einrichtungen besucht und versucht, auf diesem Wege minderjährige Väter kennen zu lernen und sie für das Filmprojekt zu gewinnen. Die Suche nach geeigneten Protagonisten gestaltete sich anfänglich sehr schwierig, galt es doch, das natürliche Misstrauen der Einrichtungen den Medien gegenüber zu überwinden und das grundsätzliche Einverständnis der Eltern oder Erziehungsberechtigten einzuholen, die nicht immer in gutem Kontakt zu ihren Kinder stehen. Erst dann konnte auf indirektem Wege über die jungen Mütter der Kontakt zu den minderjährigen Vätern hergestellt werden. Dabei lernte ich schließlich Alexander und Simon kennen. Die beiden zeichnete etwas aus, was mir für meinen Film unabdingbar erschien: Das absolute ‚Ja’ zu ihrem Kind. Der klare Wille, trotz aller Schwierigkeiten ihre Vaterrolle anzunehmen. Natürlich ist das nicht die Regel. In vielen Fällen entziehen sich die jungen Väter schon kurz nach der Geburt ihrer Verantwortung oder verlassen ihre minderjährigen Freundinnen schon während der Schwangerschaft. Nicht selten liegt das auch an dem mangelnden, speziell auf junge Väter zugeschnittenen Beratungs- und Betreuungsangebot. Doch auch wenn das die häufig traurige Wahrheit ist – ein Film darüber wäre denkbar kurz ausgefallen: Väter, die ihr Kind nicht anerkennen, wollen auch nicht vor die Kamera. Interessanter erschien mir überdies, wie es in jungen Vätern aussieht, die sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen, sondern ganz bewusst ihren Mann stehen wollen.

Geplant war der frühe Nachwuchs in keinem Fall. Doch weder für Alexander noch für Simon kam eine Abtreibung in Frage.


Eine Entscheidung und ihre Konsequenzen

Die frühe Vaterschaft ist für beide sicher kein Idealstart für ihr junges Leben. Dennoch hat diese – unabhängig von den unterschiedlichen persönlichen Lebensgeschichten der Protagonisten – bei beiden jungen Männern ganz Erstaunliches bewirkt: den Wunsch, etwas aus ihrem Leben zu machen. Bis zur Schwangerschaft ihrer Freundinnen waren beide Teenager faule, unmotivierte Schüler, Simon sogar dabei, auf die schiefe Bahn zu geraten. Das Wissen, bald Verantwortung für einen kleinen Menschen übernehmen zu müssen, hat die Jungen jedoch wach gerüttelt. Sie haben sich dazu entschieden, ihr bisheriges Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Mit aller Konsequenz. Sie haben sich auf die Schule konzentriert, ihren Abschluss gemacht, sich um eine Lehrstelle bemüht und von ihrer unbeschwerten Jugend Abschied genommen. Manchmal vermisst Alexander zwar die sorglosen Teenager-Tage. Doch ein wirkliches Bereuen der Entscheidung für das Kind empfinden beide nicht. Dort, wo selbst manche Erwachsene mit ihrer Situation hadern oder über mangelnde Selbstverwirklichung klagen, beweisen Simon und Alexander zusammen mit ihren Freundinnen echte Stärke und reife Einsichten. Vor allem Simon und Tatjana, denen die Unterstützung der Familie fehlt, müssen große Schwierigkeiten auf sich nehmen, um ein einigermaßen funktionierendes Beziehungsleben führen zu können. Räumliche Trennung, kein Führerschein, kaum Geld für Zugtickets oder Vergnügungen, keine gemeinsamen Übernachtungen, kaum privater Rückzugsort für das junge Paar. Dass die beiden trotz dieser Umstände und der daraus resultierenden Beziehungsprobleme an ihrer Liebe festhalten wollen, nötigt mir großen Respekt ab. Wie viel einfacher es für Teenager-Eltern ist, wenn ihre Familie hinter ihnen steht, zeigt sich an der Geschichte von Alexander. In diesem Fall ist es sogar untypischerweise die Familie des minderjährigen Vaters, die den jungen Eltern von Beginn an Verständnis und praktische Hilfe entgegenbrachte. Trotz des familiären Rückhalts bewegt auch Alexander die wesentliche Frage, wie er seiner Rolle als Vater gerecht werden kann. Simon und Alexander wollen beide „gute Väter“ sein und ihrer kleinen Familie „etwas bieten“. Dafür gehen beide arbeiten, stellen Hobbies und Freunde hinten an und verzichten klaglos auf modischen Schnickschnack und Freizeitspaß. Trotz ihrer jungen Jahre wollen sie die „Ernährer“ ihrer Liebsten sein und etwas in ihrem Leben erreichen, worauf ihre Kinder „stolz“ sein können. Diese für ihr Alter absolut nicht selbstverständliche Einstellung hat mich sehr gerührt und bewegt.


Ohne Hilfe geht es nicht

Dennoch ist klar, dass auch die besten Vorsätze wahrscheinlich im Sande verlaufen wären, wenn die jungen Familien nicht aktive Unterstützung von außen bekommen hätten. In Alexanders und Taotaos Fall ist es ganz eindeutig die Familie, die einen großen Anteil daran hat, dass das junge Paar ihre Beziehung und Elternschaft trotz Ausbildung und privater Auszeit leben kann. Doch auch der Berliner Verein Leben Lernen e.V. hat die Teenager-Eltern tatkräftig unterstützt. Indem junge Väter einen Gaststatus bekommen und unter diesem Siegel zusammen mit ihren Freundinnen in der betreuten Wohneinrichtung leben können, haben sie einen Weg gefunden, die Lücken des § 19 SGB VIII geschickt nutzen und Familien wie Taotao, Alexander und Luca das gemeinsame Leben unter Aufsicht erproben zu lassen.

Simon hatte darüber hinaus das große Glück, in der Erlacher Höhe in Calw einen ruhigen Wohnort und in seinem Betreuer Herrn Reichstein einen geduldigen und engagierten Förderer und wichtigen Bezugspunkt gefunden zu haben. Dem großen persönlichen Einsatz von Herrn Lutz, seinem Lehrer und Rektor der Ludwig-Haap-Schule in Loßburg, ist es zu verdanken, dass Simon trotz ernsthafter Schulprobleme seinen Abschluss letztendlich doch noch machen und damit einen wichtigen Schritt in ein selbstbestimmtes Leben gehen konnte.

All das zeigt: Wenn es mehr gezielte und vor allem organisierte, auf die Bedürfnisse minderjähriger Väter ausgerichtete Hilfsangebote gäbe, würde dies viele junge Familien zusammenhalten, die so unter dem Druck der großen alltäglichen Anforderungen zerbrechen.

Für eine glückliche und zufriedene Zukunft mit ihren kleinen Familien wünsche ich meinen Protagonisten von Herzen alles Liebe und Gute!


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