Von Alexander Jürgs
Es ist eine beängstigende Szene. Man sieht die Schattenrisse von zwei Männern. Sie wollen unerkannt bleiben, sie wollen anonym bleiben – weil sie Angst haben. Als Flüchtlinge sind sie nach Deutschland gekommen, jetzt leben sie in einer Unterkunft in Neumünster. Sie berichten davon, dass es in der Flüchtlingsunterkunft zu Anwerbeversuchen von Islamisten gekommen ist. Und sie behaupten, dass unter den Flüchtlingen einige Kämpfer des Islamischen Staates (IS) sind, die sich nun als Syrer ausgeben. Ein Handyladen im Ort sei ein Treffpunkt für die Radikalen, er soll einem salafistischen Imam gehören. Fazli Tuncer, der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde in Neumünster, kommentiert die Schilderungen der Männer so: „Das ist eine Gefahr für uns alle.“ Dass die IS-Terroristen bei ihren barbarischen Taten keine Unterschiede machen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, das haben sie schon allzu oft bewiesen.
„Wie viel Islam verträgt Deutschland?“: Diese Frage will die Dokumentation aus der Reihe „ZDFzeit“ klären. Etwa sieben Millionen Muslime werden 2050 in Deutschland leben, von dieser Schätzung geht der Film aus. Ob das Land darauf vorbereitet ist, wollen die Filmemacher untersuchen. Man merkt der Dokumentation von Annette Heinrich, Candan Six-Sasmaz und Robert Wortmann an, dass sie eigentlich schon vor den Pariser Attentate fertiggestellt war, dass nachgedreht wurde, dass neu geschnitten wurde. Die Szenen von den Anschlägen passen nicht so recht zu der eigentlich leichten Machart des Films. Bei Straßenumfragen zum Beispiel sollen Passanten erraten, welche Zitate aus dem Koran stammen und welche aus der Bibel.
Die kleine, gefährliche Minderheit, die islamische Werte vom IS vertreten sieht
„Wenn IS-Terroristen sich auf den Islam stützen, um ihre Gräueltaten zu begründen, dann ist das ein offener Missbrauch der Heiligen Schrift“, sagt die muslimische Religionspädagogin Tuba Isik. Gerade der Koran würde die Tötung Unschuldiger strikt verurteilen, erklärt sie. Und auch eine Umfrage, die das ZDF gemeinsam mit der deutschen Ausgabe der türkischen Zeitung „Sabah“ initiierte, spricht eine klare Sprache.
Der Großteil der etwa 1000 Teilnehmenden sagt dabei, dass der IS keine islamischen Werte vertreten würde. Aber, und auch das ist beängstigend, immerhin 4,5 Prozent antworten gegenteilig. Sie behaupten, dass die Terroristen sehr wohl für islamische Werte stehen würden. Natürlich zeigen die Filmautoren auch die anderen Seiten, für die der Islam in Deutschland steht. Mit großer Offenheit schildern zwei junge Musliminnen, beide Anfang 20, den Spagat zwischen Religion und Selbstbestimmung.
Der Besuch der Moschee gehört zu ihrem Alltag genauso wie die durchtanzte Nacht im Club. Man sieht, wie sie vor dem Spiegel stehen und sich schminken. Man sieht, wie sie ausgelassen tanzen. „Warum sollen wir die Gesetze des Islam einhalten, wenn die Männer es nicht tun?“, fragt eine von ihnen.
Der Prophet half im Haushalt
Weil es die Männer sind, die den Koran interpretieren, würden die Frauen unterdrückt, so argumentiert etwa der Islamwissenschaftler Abdul-Ahmad Rashid, der als Journalist für das ZDF arbeitet. Und es heißt auch, dass der Koran das Tragen des Kopftuches nicht zwingend vorschreiben würde.
„Der Prophet war ein Softie, ein Frauenversteher“, erklärt Rashid. Mit einem Lächeln im Gesicht ergänzt er: „Man weiß, dass er im Haushalt mitgeholfen hat, den Müll rausgebracht hat, dass er genäht hat, dass er gekocht hat und dass er sich um die Frauen gekümmert hat.“
Die, die an der Umfrage von ZDF und „Sabah“ teilgenommen haben, erweisen sich nicht unbedingt als Kämpfer für Gleichberechtigung. Über 54 Prozent der Befragten geben an, dass muslimische Frauen sehr wohl ein Kopftuch tragen sollen. 81 Prozent unterstützen die Forderung, dass muslimische Jugendliche nicht dazu verpflichtet werden sollen, den Sportunterricht zu besuchen.
Ein früherer Salafist kämpft auf YouTube gegen den Hass
„Man darf nicht in Cafés, man darf nicht in Shisha-Bars, man darf keine Frauen treffen“: So beschreibt Dominic Schmitz den Alltag strenggläubiger muslimischer Männer. Er selbst gehörte auch einmal zu ihnen. Als Jugendlicher konvertierte er, wenig später schloss er sich dem Kreis um den salafistischen Prediger Pierre Vogel an. Heute kämpft er mit YouTube-Videos gegen die Radikalen. Mal ernst, mal witzig wettert er darin gegen den Hass.
Eine Figur wie Schmitz macht deutlich: Der deutsche Islam hat unzählige Gesichter. Radikale Eiferer gehören genauso dazu wie liberale Freigeister. Selbst homosexuelle Muslime sind keine Seltenheit, auch davon erzählt der Film.
Am Ende der Dokumentation steht deshalb auch der Appell, die islamische Religion nicht pauschal zu verurteilen. „Einen Islam, der sich an die freiheitlich- demokratische Grundordnung hält und darin orientiert, vertragen wir in hoher Dosis“, sagt die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Sie fügt aber auch hinzu:
„Einen Islam, der das nicht tut, vertragen wir nicht.“
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